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Topic Models, Part Two: Duck and Cover. Die Falte im Panzer

  • Autorenbild: Thomas Lassner
    Thomas Lassner
  • 1. Juli 2024
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Aug. 2024

Topic Models - war eine dreiteilige Projektreihe an drei Off-Space-Orten in Hamburg 2021, in denen das R&STkollektiv die Relevanz lokaler künstlerischer Äußerungen in Zeiten pandemischer Verwerfungen und globaler Krisen befragte. In den Arbeiten wurden Objekte und Installationen aus Restbeständen des R&STarchivs mit Gegenständen aus dem täglichen Lebens kombiniert. Die drei Texte wurden verfasst, um die Projektreihe inhaltlich zu begleiten.


Panzer und Gefängnis

“Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, sah er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.”  Dem Handelsreisenden Gregor Samsa geht es nicht gut. Durch seine Verwandlung vermag er sich kaum zu bewegen, bereits das Verlassen des Bettes, in dem er aufwacht, bereitet ihm große Anstrengung. Dabei hat er, als die Erzählung einsetzt, schon verschlafen. Den Wecker muss er wohl überhört haben. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, in aller Frühe das Haus zu verlassen, um eine wichtige Geschäftsreise anzutreten. Diese wird er nun wohl verpassen. Seine Situation ist ihm so peinlich, dass er zunächst versucht, seinen eigenartigen Zustand zu verbergen, was ihm nur kurz gelingt. Ganz kafkaesk™ lässt die Absurdität nicht nach: Seine Eltern, bei denen er anscheinend wohnt, sind zunächst höflich zurückhaltend, benehmen sich allerdings im Verlauf der weiteren Handlung immer feindseliger und das Zimmer, welches Gregor Samsa zunächst Rückzugsort war, wird ihm im Folgenden erst zum Gefängnis und schließlich zum Grab. Die meiste Zeit seines schwindenden Lebens verbringt Gregor Samsa geduckt und versteckt mithilfe eines “unentbehrlichen Kanapees” oder der dunklen Ecke seines Zimmers. Die Verwandlung, die sich offensichtlich mit Einsetzen der Erzählung bereits vollzogen hat, ist bei näherer Betrachtung eine Doppelte und sie erstreckt sich über die gesamte Dauer der erzählten Handlung. Es ist die Verwandlung von der Person Gregor Samsa zu einem namenlosen Kadaver, welcher am Ende als “es” und “Zeug” bezeichnet wird und mit dem nichts mehr geschieht als die Entsorgung. Konkret bedeutet diese Verwandlung Schmerz - nicht nur für den Betroffenen Gregor selbst, sondern offenbar auch für die anderen Familienangehörigen. Zwar sind Gregors Eltern in der letzten Szene erfreut über den “üppigen” Zustand ihrer Tochter, dieser stellt sich jedoch “trotz aller Plage” erst ein. 


Objektivierung

Abstrakt bedeutet diese Verwandlung eine Transformation vom Subjekt zum Objekt. In diesem Sinne ist die gesamte Erzählung eine allegorische Darstellung jener Entfremdung, die die Menschen im Rahmen der real herrschenden Verhältnisse tendenziell alle erfahren. Sie lässt sich in vielen symptomatischen Ausprägungen feststellen und zugleich auf ein gemeinsames Problem zurückführen: Ent-Subjektivierung. Sie zeigt sich in den Wunden derjenigen, die an den Außengrenzen Europas brutal zurückgedrängt werden; sie zeigt sich in den Nummern, die diejenigen zugeteilt bekommen, die als “Kunden” in Jobcentern in die Armut verwaltet werden; und sie zeigt sich auch in der menschenverachtenden Rhetorik der Faschisten, die seit einigen Jahren wieder vermehrt in die Parlamente überall auf der Welt gewählt werden. Sie ist der Preis für das Ideal der Objektivität, das mit dem Erfolg der Aufklärung installiert wurde, auch wenn jene Objektivität zugleich die letzte Bastion im Kampf gegen die Barbarei ist. Objektivität macht sich unter anderem bemerkbar als logische Form, zum Beispiel der Ware oder des Staats. Moderne Herrschaft der Allgemeinheit über das Besondere lebt von derartigen abstrakten Formprinzipien, die jenes Besondere kontextualisieren und damit vergleichbar machen. Bereits für Adorno “[Ist] in Kapitalistischen Gesellschaften Kollektivität weitgehend bereits formal, abstrakt und entfremdet durch Tauschverhältnisse und Warenform” In der Weise, in der Gregor Samsa in die engen und teilweise widersprüchlichen familiären Verhältnisse verstrickt ist, erfahren viele Menschen ihre Existenz ebenso als Verstrickung und Verhängnis. 


Die Angst vor dem Verlust des eigenen Namens

Adorno und Horkheimer beschreiben in der Dialektik der Aufklärung diese Verstrickung als Angst vor dem Verlust des eigenen Namens und beziehen sich damit auf jene verhängnisvolle Situation, in der sich auch Gregor Samsa befindet. Für Samsa ist sein Zimmer mal Rückzugsort, bietet Sicherheit und Schutz - auch vor den Blicken Fremder, mal ist es eher ein Gefängnis und ein Grab, aus dem Gregor kein Entkommen mehr findet. In der Dialektik der Aufklärung stellen die Autoren Adorno und Horkheimer dieses ambivalente Verhältnis in Bezug auf Identität dar. Um in der verwalteten Welt jemand zu sein, ist es erforderlich, das vielschichtige Spiel von Anpassung und Konkurrenz zu beherrschen. In dieser Situation geht Identität einher mit Herrschaft und die „Angst vor dem Verlust des eigenen Namens“ bezieht sich auf die subjektive Erfahrung, dass meine Identität vom Gesamtzusammenhang abhängt, in dem ich entweder als ein Niemand ohne besondere Eigenschaften in der Masse untergehe und auf der anderen Seite als Fremder von der Gemeinschaft ausgeschlossen werde. So oder so liegt es nur in einem begrenzten Rahmen in meiner Macht, als vollgültiges Mitglied der Gemeinschaft gesehen zu werden. Genau diese klaustrophobische Abhängigkeit spiegelt sich in Gregor Samsas Situation wider. Sein Körper ist ihm entfremdet und engt ihn ein, er passt damit auch nicht mehr wirklich in die Umgebung der Wohnung, die er offenbar im Schweiße seines Angesichts für die gesamte Familie bezahlt hat. Gregor Samsa ist zum Zeitpunkt der einsetzenden Handlung einer der “Menschen, die im Fließbandverfahren hergestellt sind”, wie es Adorno in den Aufzeichnungen zu Kafka sinnfällig formuliert. Erst seine Insektengestalt markiert die Zensur, die ihn aus dem Räderwerk befreit. Nur bezahlt er dafür schließlich mit seinem Leben. 


Was kann Kunst?

Viel interessanter als mit der Geste des fleißigen Schülers zu fragen: “Was wollte uns der Künstler damit sagen?", ist es, anhand dieses Beispiels darüber nachzudenken, was die Kunst selbst vermag. Diese Frage ist alles andere als trivial und sie wurde schon oft und vielfältig bearbeitet. Folgt man der oben angerissenen Interpretation, müsste man mit Adorno davon ausgehen, die Kunst verfüge über ein ihr eigenes utopisches Potential - nicht in dem Sinne, dass sie Vorstellungen fiktiver Luftschlösser zu illustrieren vermag, sondern dergestalt, dass sie aufgrund ihrer spezifischen Bedeutungsstruktur einen Ausblick auf einen besseren Zustand gesellschaftlicher Verhältnisse erlaubt. Die Rezeption und Darstellung von Kunst erfordert eine eigene Form des Gegenstandsbezugs, welcher als Vorlage für die zu verwirklichenden Formen gesellschaftlicher Vermittlung in der befreiten Gesellschaft gesehen werden kann. Nun ist Die Verwandlung selbst ein Kunstwerk und mit Adorno ließe sich bestimmt dafür argumentieren, dass die Darstellung gesellschaftlicher Klaustrophobie als unmittelbar erfahrbare Kritik an real existierenden gesellschaftlichen Verhältnissen aufgefasst werden kann. Doch Die Verwandlung gehört mit Sicherheit schon lange zum bildungsbürgerlichen Kanon und in die Lehrpläne zahlreicher Oberstufen. Ist die Kritik dennoch wirksam, auch wenn ihre Darstellungsform schon längst etabliert und in den Normalbetrieb bürgerlicher Existenz integriert ist? Hat ihre Etablierung nicht vielmehr die entgegengesetzte Funktion, berechtigte Kritik zu kanalisieren und wirkungslos verpuffen zu lassen, wenn sie in Klassenzimmern und Kammerspielen buchstäblich nach allen Regeln der Kunst durchexerziert wird? Innerhalb der Erzählung selbst existiert ein Kunstwerk, das für Gregor Samsa eine vergleichbare Funktion erfüllt. In einer der Schlüsselszenen, in deren Verlauf Gregors Schwester und Mutter dessen Zimmer leer räumen, um ihm angeblich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, verlässt dieser seine gewohnte Stellung unter dem Kanapee, stürzt sich auf sein Lieblingsbild an der Wand und bedeckt dieses mit seinem Körper. Das Motiv des Verdeckens, das immer wieder Verwendung findet, spielt in dieser Szene erneut eine entscheidende Rolle, nur dieses Mal ist es Gregor selbst, der seinen Körper einsetzt, um zu bedecken. Das Verhältnis von Subjekt und Kunstwerk erfährt in dieser Szene eine metaphorische Verdichtung. Jenes Bild, das Gregor unter Aufbringung all seiner Bemühungen und Missachtung sämtlicher selbst gesetzter Regeln der Vorsicht und Rücksichtnahme zu schützen versucht, ist für ihn die letzte Verbindung zu seiner menschlichen Existenz: Die konkrete Utopie, nicht eines transzendenten Zustandes, sondern als Vorstellung eines wahren Zustandes zivilisierter Existenz. Hier deutet sich an, was Kunst vermag. Denn durch den verzweifelten Akt, in dem Gregor das Bild mit seinem Körper verdeckt, scheint für einen kurzen Moment das Machtverhältnis umgekehrt zu sein, das ihn dazu zwingt, sich unter dem Kanapee zu verstecken. Indem Gregor sich auf das Bild stürzt, scheint er sich einen kurzen Augenblick von den Zwangsverhältnissen seiner Familie zu befreien, denn er gibt sich in seiner abstoßenden Gestalt zu erkennen, verlässt  die Passivität und wird für diesen kurzen Moment derjenige, der die Handlung bestimmt. 


Why do you do what you do

Vor allem die Anfangsphase der Corona-Pandemie hat gesellschaftliche Sollbruchstellen wie unter dem Vergrößerungsglas zutage treten lassen. Der Katalysator für diesen Mechanismus war die Isolation. Die Entfremdung, die zwar die ganze Zeit bereits abstrakt vorhanden ist, hat sich so ganz konkret in Erfahrungen von Einsamkeit, Überforderung, Unsicherheit und Ausgeliefertsein zahlloser Menschen in ihren eigenen vier Wänden geäußert. Die Forderung “leave no one behind” bezog sich, neben der Forderung nach Solidarität mit Geflüchteten, auch darauf. Die spezifische Ausdruckskraft der Kunst besteht darin, derartige Widersprüche sichtbar zu machen. Die ästhetische Reflexionsform der künstlerischen Arbeit Duck and Cover scheint darin zu bestehen, die Mechanismen von Distanz und Überlagerung sichtbar zu machen, die die Situation der Isolation in der tendenziell klaustrophobischen Gesellschaft für viele so unerträglich gemacht haben. Ähnlich wie Kafka es in der Verwandlung tut. Die Assemblagen, die im Rahmen der Rauminstallation von Duck and Cover entstanden sind, ermöglichen die konkrete sinnliche Erfahrung der tendenziell entfremdeten Normalität, nur eben zum Schein. Im Ausstellungsraum im Künstlerhaus Sootbörn fallen zunächst die scheinbar wahllos arrangierten Objekte auf. Diese weisen für sich jeweils eine besondere skulpturale Klarheit auf und werden im Verlauf der Arbeit gezielt oder eben auch wahllos von Projektionen und Sounds überlagert. In den Zwischenräumen findet eine Tanzperformance ihren Raum. Zusätzlich füllen die Künstler diesen mit einer Sprach-Performance, in der sie Varianten der Wortkombinationen why do you do what you do when you know what you do scheinbar endlos rezitieren, umstellen und erweitern. Gleichzeitig hat das Haus selbst, das gegen Ende der 50er Jahre wegen Flugverkehr seine oberste Etage eingebüßt hat, eine eigene historisch passende Bedeutung. So entsteht im Laufe der Arbeit eine vielschichtige Assemblage unterschiedlicher ästhetischer Formen, die ihre besondere Bedeutung als Spiel von Distanz und Überlagerung vor allem in der spezifischen Situation der Pandemie entfalten, in der die Themen Abstand und Kontakt auch gesamtgesellschaftlich als ganz konkrete Sicherheitsvorkehrungen ohnehin schon präsent sind. Es bleibt fraglich, ob Duck and Cover eine Machtumkehrung wie Gregor Samsa vollzieht, doch es zeigt sich, dass durch die künstlerische Arbeit das abstrakte Verhältnis von Isolation und Gefangenheit, das sich durch die Pandemie nochmal verschärft hatte, eine konkrete Ausdrucksform findet. So führt die Arbeit vor, wie künstlerische Kritik vollzogen werden kann.

 
 
 

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