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Die Sprache des Rassismus

  • Autorenbild: Thomas Lassner
    Thomas Lassner
  • 1. Juli 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 26. Juli 2024

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Die Entgleisung als Programm: Feiernde Rassist*innen auf Sylt

Wie so viele, bin auch ich über den Wahlerfolg der Rechten bei der Europawahl bestürzt. Dabei habe ich ein solches Ergebnis durchaus kommen sehen. Bemerkenswert ist - und das konnte man in den letzten Jahren bereits zur Genüge in den USA beobachten - dass ihnen auch Skandale, Enthüllungen und sogar strafrechtliche Verurteilungen kaum schaden. Meine Vermutung ist, dass all das Symptome derselben destruktiven Politik sind. Bezeichnend für die Konjunktur rassistischer Themen im politischen Diskurs ist ihre Sprache. 


Wrstlbrnft 

Wenn ich an die Sprache der Faschist*innen denke, fällt mir ein Witz von meinem Großvater ein. Er geht so:

Ein Mann fährt zu schnell mit dem Auto und wird von einem Polizisten angehalten. Dieser sagt tadelnd: „Weil Sie zu schnell gefahren sind, muss ich Sie leider aufschreiben. Wie heißen Sie denn?“ Der Mann antwortet: „Wrstlbrnft“ „Aber das kann ich ja gar nicht schreiben“ „Ja, das sollen Sie ja auch gar nicht“

Was im Witz eine harmlose Pointe ist, gehört im politischen Alltag zur populistischen Strategie: Es ist das Ablenkungsmanöver als rhetorischer Gegenangriff. Die sprachliche Verwirrung, die im Witz durch das Kauderwelsch des Rasers gestiftet wird, lenkt vom Ursprünglichen Vorwurf ab. So steht auf einmal die Frage nach dem richtigen Namen im Fokus. In der politischen Realität ist die Rhetorik des Rechtspopulismus voll von derartigen Manövern. 


Sprachliche Gewalt

In den vergangenen zehn Jahren, also etwa seitdem wir das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland beobachten können, wurde ein entscheidender Fehler immer wieder begangen: Man hat die Rädelsführer reden lassen und ihnen damit zum Erfolg verholfen. Dabei besteht der rhetorische Trick des Rechtspopulismus ausgerechnet darin, eine Zwickmühle für die offene Gesellschaft zu inszenieren. Weil sie sich als die Opfer der "woken Cancel Culture" ins Licht zu setzen wissen, wirken die möglichen Reaktionen auf dieses Verhalten wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder man räumt ihnen einen Platz auf der Bühne des öffentlichen Diskurses ein und entkräftet damit das Opfer-Bild, oder man grenzt sie aus und gibt ihnen damit implizit Recht. 

Doch dieses Dilemma existiert nur zum Schein, denn es beruht auf der falschen Prämisse, dass Rassismus und Faschismus Meinungen seien, die man wie andere zumindest zulassen müsse und der kommunikative Trick der Zwickmühle selbst ist schon ein Indiz dafür, dass die neuen Rechten nicht nach den Regeln des freien Meinungsaustauschs spielen. Der Irrtum besteht darin, dass es dem Faschismus, der den Kern der neuen Rechten ausmacht, nicht um - mit Habermas gesprochen - den zwanglosen Zwang des besseren Arguments geht, sondern um Unterwerfung und schließlich Vernichtung. Das gilt für den Nationalsozialismus wie für die neue Rechte gleichermaßen.

Der Stil des Rechtspopulismus ist sprachliche Gewalt. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Was in der Ideologie der neuen Rechten Metapolitik heißt, bezeichnet der Soziologe und Experte für Nazis im Internet, Simon Strick: kommunikative Austeritätspolitik. Diese besteht darin, Begriffe, Redewendungen sowie popkulturelle Symbole und Memes zu kapern. So dringt rechtes Gedankengut immer weiter in die Popkultur und den Alltag der Bevölkerung ein. Eines der wichtigsten Memes der Neurechten, Pepe the Frog, beispielsweise, wurde seinem Schöpfer Matt Furie geraubt, der seit Jahren auf dem Rechtswege versucht, seine Figur zurückzuerobern.

Marshall McLuhan verwendet in Bezug auf die Werbeindustrie der USA den Begriff des Belagerungszustands. Ausgerechnet dieser scheint mir für die Kommunikationsstrategie der neuen Rechten sehr treffend zu sein, denn das Zusammenspiel dieser beiden Strategischen Manöver, der kommunikativen Manipulation und Austeritätspolitik, mutet in der Tat wie ein ständiger Angriff auf die freie Rede an. Auch konservative Populisten scheinen ein Gespür für die politische Macht dieser Strategie zu haben, denkt man an das Gender-Verbot in Bayern. 


Basbeballschlägerjahre 

In Deutschland erfährt die AfD vor allem in den neuen Bundesländern große Zustimmung, auch wenn der Rechtsruck ein gesamtdeutsches Problem ist. Ich bin erst vor kurzem nach Leipzig gezogen und erlebe bei vielen, die hier aufgewachsen sind, ein starkes Bedürfnis, über die Wende zu reden. Für sie sitzt die Erinnerung an die fast schockartigen sozialen Umbrüche sowie die darauf folgenden Baseballschlägerjahre noch tief. Dabei suggeriert vor allem dieser Begriff eine Vergangenheit, die noch gar nicht abgeschlossen ist. Die unzähligen verbalen und tätlichen Angriffe der vergangenen Monate geben einen Geschmack davon, wie Nazis mit Andersdenkenden umgehen. Ganz zu schweigen vom NSU, dem Mord an Walter Lübke sowie dem Täter von Hanau. Diese Taten zeigen, dass das Problem weder vergangen, noch allein ein ostdeutsches Problem ist.


Wehrhafte Demokratie? 

Immer wieder diskutiere ich die Frage, was man gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck tun kann und ich habe selber auch keine eindeutige Antwort, doch ich bin mir sicher, dass es helfen würde, nicht immer auf jedes Thema, das die Rechten dem öffentlichen Diskurs diktieren, aufgegriffen würde und so nach und nach immer mehr Begriffe kontaminiert werden. “Woke” hatte ursprünglich die eigentlich sehr sympathische Bedeutung, dass man aufmerksam ist und bestrebt ist, wachsam gegenüber Diskriminierung zu bleiben. “Cancel Culture” wäre gar kein Thema, wenn sich nicht irgendwelche Schreihälse lautstark darüber beschwert hätten, dass sie sich nicht lautstark beschweren dürfen. 

Mir geht es nicht darum, mit den Nazis - egal ob alt oder neu - um unsere Sprache zu ringen. Im Gegenteil: Gerade weil das Ziel faschistischer Rhetorik nicht die Wahrheit, sondern die Unterwerfung ist, ist das Ringen um die Wörter immer ein Rückzugsgefecht. Stattdessen geht es mir um die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und Sprache nicht als politisches Mittel, sondern als Medium der Wahrheit zu begreifen, um die es in der Philosophie ganz wesentlich geht. Gerade im Gespräch über die jüngere ostdeutsche Geschichte ist diese Art des Sprechens und Zuhörens ein guter Anfang, auch wenn das allein nicht ausreicht. Und wen wundert's, dass ausgerechnet Theodor W. Adorno seine Aspekte des neuen Rechtsradikalismus mit demselben Gedanken abschließt: 

"Aber nun nicht Lüge gegen Lüge setzen, nicht versuchen, genauso schlau zu sein wie er [der Rechtsradikalismus T.L.], sondern nun wirklich mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten. [...] Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns." 

 
 
 

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