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Topic Models Part Three: After the Flood. Die Grenzen der Vernunft

  • Autorenbild: Thomas Lassner
    Thomas Lassner
  • 1. Juli 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Topic Models - war eine dreiteilige Projektreihe an drei Off-Space-Orten in Hamburg 2021, in denen das R&STkollektiv die Relevanz lokaler künstlerischer Äußerungen in Zeiten pandemischer Verwerfungen und globaler Krisen befragte. In den Arbeiten wurden Objekte und Installationen aus Restbeständen des R&STarchivs mit Gegenständen aus dem täglichen Lebens kombiniert. Die drei Texte wurden verfasst, um die Projektreihe inhaltlich zu begleiten.


Ich war nicht imstande, alles zugleich in meine Rechnung zu nehmen; aber irgendeine Lösung, fand ich, muss es immer geben. 

- Max Frisch: Homo Faber


Moderne Krisen

Es scheint ein wesentliches Merkmal der spätkapitalistischen Moderne zu sein, dass in ihr Krisen in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgen. Klima-, Corona- und Wirtschaftskrise dominieren nunmehr seit Jahren die öffentliche Berichterstattung. Militärische Überfälle und kriegerische Handlungen in der Ukraine, in Mali oder Rojava verstärken das Gefühl der Unerträglichkeit. Dabei fällt auf, dass alle diese Ereignisse auf die ein oder andere Weise miteinander verknüpft sind und auseinander resultieren. Auch ein scheinbar natürliches Ereignis wie das Ausbrechen der globalen Corona-Pandemie wurde durch zivilisatorische Faktoren wie das Zusammenwachsen menschlicher und tierischer Lebensräume und das Verschwinden natürlicher Rückzugsorte für eigentlich wildlebende Tiere wenigstens begünstigt. Ebenso ist der Klimawandel nicht einfach nur ein Klimawandel, stattdessen wird in der Öffentlichkeit völlig zutreffend gerne auch vom menschengemachten Klimawandel gesprochen. Globale Ereignisse, und gerade die katastrophalen sind heutzutage anthropogene Ereignisse. Die einzigen, die von diesen Krisen und der damit einhergehenden Stimmung profitieren, sind die Rechten und dass dieser Profit nicht nur gelinde gesagt sehr einseitig, sondern sogar außerordentlich niederträchtig und mörderisch ist, zeigt die Geschichte. 


After the Flood

Mitten in der Pandemie fand im Hamburger Nachtspeicher eine temporäre Installation unter dem Titel After the Flood statt, die auf eine sehr buchstäbliche Weise das Gefühl, dass die Welt kopfsteht, bearbeitet. Während ringsum katastrophale Ereignisse andauern, entwirft die Installation den Ausblick auf einen möglichen Zustand nach der Apokalypse. Die Welt hat sich verändert und die Überlebenden, Eingeschlossenen versuchen, die Veränderung, die sich vollzogen hat, zu begreifen. Ihre Aufzeichnungen und Notizen, die im Raum verteilt liegen, dienen als eine Art Dokumentation. After the Flood illustriert einen Zustand, in dem der Raum um 90° gekippt ist. Wie gehen die Bewohner*innen des Raumes damit um, wie verhalten sich Besucher*innen? Diese Fragen, die mit Relationalität und Interaktion sowie Wissen und Information zu tun haben, prägen die Spannung, die diese Arbeit erzeugt.


Die politische Lüge

Die Corona-Krise hat, wie andere gegenwärtige Krisen auch, gezeigt, dass Informationen ein kritischer Faktor für die Verteilung und Legitimierung von Macht sind. Das geflügelte Wort „Wissen ist Macht“ ist zwar nicht erst seit der sogenannten Postmoderne geläufig, doch scheint die rasante Konjunktur des Internets diesen Effekt deutlich beschleunigt zu haben. Das Wissen um Infektionszahlen, Übersterblichkeitsraten und R-Faktoren wurde zum Maßstab der Krisenpolitik, die nur deswegen in einer derartigen Größenordnung möglich war, weil eine bislang unerreichte Menge an Informationen verfügbar war. Gleichzeitig nutzen die sogenannten Trolle seit Jahren gezielt die Geschwindigkeit des Internets, um die Öffentlichkeit mit kalkulierter Desinformation zu fluten. Für den politischen Kampf der Informationen, der sich seit Jahren zuspitzt, hat die Corona-Pandemie wie ein Verstärker gewirkt. Die Lüge als politisches Instrument hat vor allem in einer Phase ihre volle Wirkung entfaltet, als das Verfügen über gesicherte Informationen im wahrsten Sinne des Wortes über Leben und Tod entschied, denn der Zustand der allgemeinen Verunsicherung hat das Bedürfnis nach Informationen und möglichen Antworten genährt. Diesen Hunger haben Verschwörer und Demagogen auf sehr ungesunde Weise gestillt. 


Die Weltlosigkeit des Technikers

In einer Zeit, in der Wissenschaft und ihr Gegenteil, die politische Lüge miteinander um die Köpfe der Leute konkurrieren, wird deutlich, wie ambivalent das Verhältnis von Politik und Wissenschaft ist, denn die Politisierung der Wissenschaft im Namen der Objektivität ist wie Öl ins Feuer einer Logik, die bereits Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung beschreiben, deren fatale Dynamik darin besteht, jene Objektivität, die der Maßstab vernünftiger wissenschaftlicher Praxis ist, zur gesellschaftlichen Norm zu hypostasieren und damit Herrschaft zu legitimieren. 

Der Prototyp dieses vergesellschafteten Wissenschaftlers ist Max Frischs Homo Faber, der aufgrund seiner doktrinären Rationalität die Fähigkeit einbüßt, überhaupt noch authentische Erfahrungen zu machen. Wie ein Kind scheint er durch die Welt zu stolpern und dem, was ihm widerfährt, geradezu auf eine naive Art und Weise ausgeliefert zu sein. Seine Rationalität entfremdet ihn von der Welt und Situationen, die ihm Empathie oder Sinnlichkeit abverlangen, überfordern ihn. 


Die Universität des Desasters

Doch die Alternative kann nicht darin bestehen, es den selbsternannten Querdenkern gleichzumachen und Wissenschaft in Gänze zu misstrauen. Die Konsequenz davon lässt sich nämlich in diversen Chatgruppen ablesen, in denen nicht nur Quacksalbereien, sondern auch regelrechte Volksverhetzung regen Anklang finden. Zu den Krisen der Gegenwart gesellt sich also offenbar eine Krise der Rationalität. Ein möglicher Ausweg aus dieser Aporie besteht in der Kunst, die durch ihre immanenten Prinzipien des Fortschritts und Regeln der Gestaltung eine eigene Form der Rationalität aufweist. Die Unmöglichkeit, Kunst zu definieren, ist ein Indiz für diese Eigenwilligkeit und ein Blick in die ästhetische Theorie zeigt, dass künstlerische Praxis immer auch von dem Bestreben geprägt ist, sich gegen die Definition zu verteidigen. Wegweisende Arbeiten der modernen Kunst zeichnen sich immer wieder dadurch aus, die anerkannten Kategorien der Theorie zu sprengen. Was diese, künstlerische, Rationalität vermag, ist die Kraft zur Schöpfung und Kritik zugleich. 

Paul Virilio, der Denker der Beschleunigung, formuliert 2008 in Die Universität des Desasters den Vorschlag, angesichts immer größerer Ausmaße katastrophaler Ereignisse, eine Wissenschaft der Katastrophe zu bilden, in der eine spezifische Form des Denkens geschult werden soll, die ein Verständnis der kosmischen Dimensionen antropogener Katastrophen ermöglicht. Ist es möglich, ein Verständnis für denjenigen Zeitraum zu entwickeln, den atomarer Abfall benötigt, um nicht mehr gesundheitsgefährdend zu sein? Wie kann menschliches Leben auf der Erde existieren, wenn die kritischen Kipppunkte des globalen Klimas überschritten sind? Wieviel Reaktionszeit verbleibt, wenn eine der Atom-Mächte den hypothetischen Raum verlässt und tatsächlich eine der Bomben zündet, bis zur Vernichtung eines Großteils des Lebens auf der Erde, die durch eine Kette von atomaren Gegenschlägen ausgelöst wird? Auch Fragen, die im Zusammenhang mit einer globalen Pandemie aufkommen, wären als Teil des Curriculums einer solchen Universität vorstellbar. 


Kunst und Wissenschaft

Kunst und Wissenschaft werden gerne als grundsätzlich voneinander unterschiedene Sphären gesehen, doch After the Flood zeigt, dass die beiden zuweilen mehr miteinander teilen, als jener Allgemeinplatz von der radikalen Unterschiedenheit vermuten lässt. Die Installation lässt sich als ein künstlerisches Forschungsprojekt des Desasters im Sinne Virilios interpretieren, denn vielleicht ist es gerade die spezifische Rationalität der künstlerischen Inszenierung nach der Flut, die Erkenntnisse ermöglicht, die Virilio sich von der Universität des Desasters erhofft. Welche das sind? Die Antwort darauf vermag ein einzelner Text kaum zu geben und beruht vielmehr in eben jener diskursiven Offenheit, die in künstlerischen Arbeiten wie After the Flood angelegt ist. So verwandelt sich die Dystopie auf der inhaltlichen Ebene in utopisches Potenzial auf der formalen Ebene, weil hier die besondere Gestalt der künstlerischen Arbeit gerade das Dilemma der Rationalität aufzulösen vermag, mit dem offenbar die Wissenschaft ein Problem hat. Offenheit und Ambivalenz sind genau die Eigenschaften, die der Wissenschaft schaden, die aber der Kunst einen spezifischen Bedeutungshorizont eröffnen, in dem die Möglichkeit erscheint, mit den Krisen der Gegenwart umzugehen.

 
 
 

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