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Die Grenzen der Egalität – falsche Versprechungen und partikulare Universalität

  • Autorenbild: Thomas Lassner
    Thomas Lassner
  • 1. Juli 2024
  • 15 Min. Lesezeit


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Nationalstaaten sind ein Problem. Der allergrößte Teil der anarchistischen Linken ist sich darin einig, dass Nationalstaaten einen wesentlichen Beitrag zum Aufkommen von Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Leid leisten. Das Errichten von Staats- grenzen führt Hierarchien ein zwischen denen, die dazugehören und denen, die draußen bleiben müssen, und legitimiert damit eine ungleiche Ressourcenverteilung, in der nur die privilegierten Mitglieder der Gemeinschaft profitieren. Die Ausgeschlossenen werden fern gehalten, stigmatisiert und in vielen Fällen zum Zwecke des Wohlstands ausgebeutet. Wie hoch der Zaun an der Grenze zur Nation ist und wie tief das Gefälle nach außen, hängt von vielen Faktoren ab, unterscheidet sich von Nation zu Nation und ist in manchen Fällen vieleicht überhaupt nicht als gesondertes Phänomen sichtbar, allerdings scheint die anarchistische Kritik in jedem Fall die Nation als ein Problem für die Gerechtigkeit anzusehen. Im Versuch, die Hierarchien und Ungerechtigkeiten der nationalen Gesellschaftsordnung aufzulösen, haben verschiedene Theoretikerinnen immer wieder versucht, einen universellen Adressaten für soziale Rechte und politische Willensbildung zu bestimmen. Einer der bekanntesten dieser Adressaten ist der kantische Weltbürger. Aber auch linke Theoretikerinnen richten sich an eine universelle Einheit menschlicher Existenz, die dann Trägerin des sozialen Fortschritts sein soll. Die Ideen, um die sowohl die meisten demokratischen Staaten, als auch diverse anarchistische Gegenentwürfe kreisen, sind die alten Ideen der Egalität, des Individualismus und der Verfassungsmäßigkeit. Ich werde zu zeigen versuchen, dass der Ursprung des Problems nicht in der Abgeschlossenheit der Nation liegt, sondern schon konzeptionell in der Konstruktion des Trägers des vorgestellten gesellschaftlichen Fortschritts begründet ist. Der Versuch, Menschenrechte universell geltend zu machen, verstrickt sich in fundamentaleWidersprüche, die der Idee des Universalismus prinzipiell anhaften.

 

Zunächst sei allerdings die Grundlage dessen dargestellt, was ich für den Republikanismus für zentral halte. Denn diese Form der gesellschaftlichen Organisation erscheint in der europäischen Geschichte als die Vielfältigste und sowohl von konservativen, als auch progressiven Kräften als diejenige, in die am häufigsten die Hoffnung der Erfüllung des jeweiligen utopischen Gehalts gelegt wird. Der Republikanismus ist die theoretische Konzeption einer Rechtsordnung, dessen Ursprünge in der Demokratie der hellenischen Stadtstaaten und in der römischen Staatsordnung liegen. Aufgrund dessen ist die Zusammenfassung der diversen Konzepte der Republik unter den gemein- samen Namen Republikanismus einigen Schwierigkeiten ausgesetzt und dennoch scheint es eine Handvoll Merkmale zu geben, um die eine derartige Konzeption nicht umhin kommt. Zunächst wird die Republik gedacht als eine politische Sphäre, in der die vollgültigen Mitglieder, also die Bürgerinnen, die Geschäfte des Regierens selbst in die Hand nehmen, also demokratisch agieren. Darüber hinaus wird die Existenz der Republik und ihrer Regierungsform als Akt der Zivilisation verstanden, insofern gilt das republikanische Recht als positives Recht, im Gegensatz zum natürlichen Recht beispielsweise eines Theokraten, dessen Autorität gottgegeben ist, oder zum willkürlichen Recht des Stärkeren im fiktiven Naturzustand. Der Gründungsmythos der Republik beruht auf der Vorstellung des Vertrags, den alle Bürgerinnen eingegangen sind, um einen zivilisierten Zustand der Gleichberechtigung und privater Sicherheit zu gewährleisten. Im Zuge des Vertragsschlusses geben sich diese eine Verfassung, die die allgemeine Grundlage für die Regierungspraxis darstellt und gleichzeitig die bürgerliche Freiheit garantiert. Außerdem wird unterschieden zwischen einem öffentlichen Raum der politischen Praxis und einem privaten Raum der persönlichen Selbstverwirklichung. Diese Unterscheidung erleichtert den Bürgerinnen zwischen persönlichen und allgemeinen Interessen zu unterscheiden und somit aufkommende Interessenkonflikte angemessener vermitteln zu können. Die dargestellten Elemente sind also zentral für die Republik, deren Zweck dem Selbstverständnis nach die Realisierung eines gerechten Zustands und einer stabilen Eigentumsordnung für ihre Angehörigen, die Bürgerinnen, ist. Es wird sich herausstellen, dass die Erfüllung dieses Versprechens mit einigen zentralen Problemen umzugehen hat.


Satt und trocken

Das konkreteste Problem ist das der ökonomischen Subsistenz. In den allermeisten Fällen stellt sich politische Partizipation als Luxusgut heraus, was die Republik vor das Problem der existenziellen Versorgung stellt, denn wer die meiste Zeit seines produktiven Lebens damit beschäftigt ist, die Belange der Gemeinschaft mit zu entscheiden, der hat nicht die Kapazitäten, Nahrungsmittel herzustellen, Behausungen zu errichten oder Kleidung zu fabrizieren. Die konsequenten Republikanerinnen sind dazu verurteilt, auf dem Marktplatz der politischen Willensbildung zu verhungern und zu erfrieren. So nimmt es nicht Wunder, dass die großen Republiken der europäischen Geschichte ausnahmslos von einem Ring der unterprivilegierten Sklavinnen, Arbeiterinnen oder Fremden umgeben sind, auf deren Schultern die Freiheit der Bürgerinnen der Republik ausgelebt wird. Die Tradition der republikanischen Theoriebildung hat eine Reihe von Lösungsansätzen entwickelt, die in der Theorie unterschiedlich plausibel scheinen. Dabei wird von der schlichten Inkaufnahme der Existenz einer unterprivilegierten Schicht wie bei Platon bis hin zur Utopie einer von Robotern ernährten Gesellschaft in unterschiedlicher Weise auf das Problem der Güterversorgung eingegangen. In Absehung von derartigen utopischen Konzeptionen bleibt in der praktischen Umsetzung offensichtlich die Frage der Versorgung ein zentrales Problem für demokratisch - unitär verfasste Gesellschaften, denn schon auf dieser konkreten Ebene stellt sich offenbar der Anspruch der Allgemeingültigkeit der gerechten Verfassung als ein Problem dar, in dem die Befähigung zur politischen Betätigung im Widerspruch zur geforderten Allgemeinheit steht. So fällt es der Republik offenbar schwer, entgegen dem selbst gesetzten Anspruch der Gleichberechtigung, den Bürgerstatus für alle Angehörigen der Republik zur Verfügung zu stellen. Ein relevanter Teil feministischer Theorie der politischen Philosophie setzt an diesem Punkt an und verknüpft das konzeptionelle Problem der gerechten Güterverteilung mit der historischen Ungerechtigkeit der patriarchalen Hegemonie, in deren Folge Frauen systematisch vom Betrieb der politischen Willensbildung fern gehalten wurden. Rousseau handelt das Problem der Willensbildung ausführlich ab und verknüpft es darüber hinaus mit dem Problem der Größe der Republik, die mit zunehmender Größe massiven Problemen der Auflösung ausgesetzt ist, denn je mehr Menschen unter das Gemeinsame der Verfassung gestellt werden müssen, umso mehr stellt sich das Problem der Abweichung und die Regierung wird zum System der Repression. Die Aufgabe, Individualinteressen und den Gemeinwillen miteinander zu vermitteln, löst Rousseau mit politischer Gewalt.


Außerdem wird das, was an vielen Stellen als bürgerliche Tugend Erwähnung findet, zur weiteren Herausforderung für eine demokratische Gesellschaft in republikanischem Sinne, denn die politische Praxis auf dem Marktplatz der demokratischen Willensbildung erfordert gewisse Fähigkeiten, die über lange Zeit erlernt und geübt werden müssen. Dazu gehören die Kunst der Rede, die Fähigkeit der argumentativen Abstraktion und andere Fähigkeiten, die in der Neuzeit zum Kanon der humanistischen Bildung gehören. Auch diese abstrakten Ressourcen für alle Angehörigen der Gemeinschaft in gleichem Maße zur Verfügung zu stellen, erfordert derart viel Aufwand, dass eine Umsetzung dessen utopischen Charakter bekommt. Was Rousseau »Sittliche Freiheit« nennt, scheint nahezu unmöglich universell umsetzbar zu sein.


nimmt damit eine Schwellenfunktion ein, die zwischen dem abstrakten Gemenge chaotischer menschlicher Existenz und der zivilisierten Ordnung kultivierter Bürgerinnen vermittelt. Dabei stellt sich für die Theoretikerinnen des Republikanismus die Frage nach der Vereinbarung von individuellen und allge- meinen Interessen als eines der zentralen Probleme dar. Die gängigste Antwort auf dieses Problem besteht in der Vor- stellung eines genuin politischen Raumes der Öffentlichkeit, in dem andere Regeln gelten, als im privaten Raum der Individual- interessen. So haben nur im öffentlichen Raum die Bürgerinnen der Republik die Möglichkeit das Regierungsgeschäft zu betreiben und sind hier angehalten, die Maßgaben der politischen Vernunft zu befolgen. Die Pflege der Bürger-Tugenden spielt hier eine hervorragende Rolle. Gleichzeitig gilt im privaten Raum ein sehr viel reduzierterer Anspruch an das Verhalten der Bürgerinnen, denn das bestimmende Prinzip in dieser Sphäre ist nicht viel mehr als das des Privateigentums und vor allem dessen Schutz. In Vita Activa beschreibt Hannah Arendt diese Trennung folgendermaßen:

»Die einfache Unterscheidung zwischen privat und öffentlich entspricht dem Bereich des Haushalts auf der einen, dem Raum des Politischen auf der anderen Seite, und diese Bereiche haben als unterschiedene, genau voneinander getrennte Einheiten zum mindesten seit Beginn des antiken Stadt-Staates existiert.«


Die kritikwürdige Folge davon ist, dass verständlicherweise der Bereich des Privaten nicht unbevölkert ist, sondern schon die Trennung dieser beiden Sphären impliziert, dass es zumindest logisch einen Bereich des a-politischen im Kontext der Republik gibt und hier auch Menschen verortet sind, denen der Zugang zur politischen Praxis verwehrt bleibt. Ein weiteres Problem


Das Problem der Universalität

Die Tatsache, dass die Republik als ein System des positiven Rechts mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit und Egalität konzipiert ist,

stellt sich als ein Problem heraus, in dem sich das Rechtssystem selbst in die Widersprüche der Universalität verstrickt. Zur zugrundeliegenden Idee des Vertragsschlusses gehört auch die Vorstellung, dass sich alle Vertragsschließenden freiwillig unter das gleiche Prinzip der Willensbildung stellen. Das ist der Gemeinwille. Dieser wird im Akt der Gesellschaftsbildung als abstrakte Form der Vermittlung gesetzt und legitimiert von diesem Punkt an – meist über die negative Figur des Naturzustandes – die herrschende Ordnung. Der Gesellschaftsvertrag


Ein weiteres Problem ist das der Identifikation. Denn nur in dem Fall, in dem sich die Bürgerinnen einer Republik auch mit diesem Gemeinwesen identifizieren, scheint überhaupt die Möglichkeit für eine ungebrochene Vermittlung von Einzelinteressen im Sinne des Gemeinwillens gegeben zu sein. Die Existenz dieses Gemein- wesens hängt im Wesentlichen von seiner Zustimmung ab. Nur unter der Voraussetzung, dass die Individuen ein Interesse daran haben, als Teil einer einheitlichen Gemeinschaft aufzu- gehen, kann die Willensbildung im Sinne der Gemeinschaft überhaupt funktionieren. Insofern legitimiert sich die Republik selbst, denn diese besteht in der Setzung des freiwilligen Vertragsschlusses und jedes Argument in Hinsicht auf Integ- ration in die geltende Rechtsnorm beruht auf der Setzung, dass diese ein Vorteil für die Individuen darstellt. Die Begründung für die Aufrechterhaltung der derart eingesetzten Ordnung ist, dass sie gut ist. Alternativen zum etablierten System werden so schon auf konzeptioneller Ebene apriori für unzulässig erklärt.

Des Weiteren beruht die erfolgreiche Willensbildung der Gemeinschaft darauf, dass alle Beteiligten in einem gewissen Maße den gesetzten Verfahren vertrauen und zudem an die Möglichkeit eines abstrakten Gemeinwillens glauben. Einer der prägnantesten Texte hierfür ist der Gesellschafts- vertrag von Rousseau. Hier stellt er dar, wie eine nach seinem Verständnis gerechte Gesellschaft entsteht, nachdem die Menschen im Naturzustand beschlossen, den Zustand der allgemeinen Unsicherheit zugunsten eines geregelten Gemein- wesens aufzugeben. Auch hier, und auf der Ebene der politischen Praxis, legitimiert sich die republikanische Ordnung selbst, indem sie darauf beruht, dass ihren Mechanismen ein Vertrauensvorschuss geleistet wird. »Die politische Stabilität wird durch eine breite Zustimmung zu den Prinzipien gefördert, die der politischen Ordnung zugrunde liegen.«12 Rousseau sieht diese Zustimmung sogar durch den Zufall des Wohnsitzes bestimmt: »Wenn der Staat gegründet ist, liegt die Zustimmung im Wohnsitz; das Staatsgebiet bewohnen heißt, sich der Souveränität unterwerfen.« Das Narrativ vom ursprünglichen Vertragsschluss impliziert schon die vorgängige Existenz eines Gemeinwillens, der in der Folge der politischen Praxis als Fixpunkt der bürgerlichen Existenz dient, denn nur in der Annahme, es gäbe tatsächlich einen abstrakten Status der umfassenden Einigung aller herrschenden Meinungen, lohnt sich überhaupt das Wagnis der gemeinschaftlichen Willensbildung, die auf Einheit abzielt. Die Einheit der Gemeinschaft ist bei Rousseau derart streng gefasst, dass in der Frage nach der Priorität zwischen individuellen Freiheiten und kollektiven Interessen die Entscheidung definitiv zugunsten des Kollektivs ausfällt. Die gute und gerechte Gemeinschaft erscheint demnach als repressive Autorität, der sämtliche politische Entscheidungs- macht zugesprochen wird. Diese Autorität geht so weit, dass sogar der Tod Einzelner zugunsten der Gemeinschaft von der Regierung gefordert werden kann.

»Der Staatsbürger ist deshalb auch nicht länger Richter über die Gefahr, der er sich auf Verlangen des Gesetzes aussetzen soll; und wenn der Fürst ihm gesagt hat »Dein Tod ist für den Staat erforderlich« so muss er sterben, da er nur auf diese Bedingung bisher in Sicherheit gelebt hat, und sein Leben nicht mehr aus- schließlich eine Wohltat der Natur, sondern ein ihm bedingungsweise bewilligtes Geschenk des Staates ist.«

Immer noch spricht Rousseau hier von der Verwirklichung der sittlichen Freiheit, was angesichts der Möglichkeit, von der eigenen Regierung getötet werden zu können, einen faden Geschmack bekommt. Der demokratische Souverän ist hier die abstrakte Autorität der Gemeinschaft, die durch politische Ämter repräsentiert wird. Die Inhaberinnen dieser Ämter ver- fügen über die gesamte Regierungsgewalt und ihr einziges Korrektiv ist bei Rousseau die Einschränkung, dass sie im Fall der fehlgehenden Entsprechung mit dem Gemeinwillen ihre Legitimation verlieren; die authentische Repräsentation muss dann von der Gemeinschaft wieder eingefordert werden.

»Es ist wahr, daß diese Veränderungen immer gefährlich sind und daß man an eine einmal errichtete Regierung nur rühren soll, wenn sie mit dem Gemeinwohl unvereinbar wird; aber diese Vorsicht ist ein Grundsatz der Politik und keine Rechtsvorschrift, und der Staat ist genausowenig gehalten, seinen Oberhäuptern die bürgerliche, wie seinen Generälen die militärische Gewalt zu belassen.«

Offensichtlich ist es also unumgänglich, dass staatliche Organisation nicht ohne Repression auskommt, wenn der Staat durch die mythische Figur des Vertragsschlusses legitimiert ist und die Einrichtung vornehmlich zum Zwecke der Selbst- erhaltung vollzogen wird. So wie Rousseau die Republik vorstellt, erscheint sie als selbst-gerechtes System, in dem das Wohl der Gemeinschaft über das individuelle gestellt wird. Das ist die bürgerliche Freiheit im republikanischen Sinne.


 

Zwar liegt das Projekt der gesellschaftlichen Integration in diesem Sinne im Anspruch egalitärer Partizipation nicht grundlegend falsch, vielmehr scheint das Problem in der Universalität und Homogenität zu bestehen, denn diese Aspekte der republikanischen Demokratie sind es, die das Modell in Widersprüche verstrickt. Die Annahme einer übergeordneten Instanz, die als Richtschnur für die politische Vermittlung gilt, mutet an wie die Idee einer metaphysischen Macht, die die Geschicke der Menschen regelt. Und Rousseau selbst formuliert die Nähe des Kollektiven zum Göttlichen:

»Das an sich Gute und Ordnungsgemäße besteht lediglich durch die Natur der Sache und ist unabhängig von menschlichen Verträgen. Alle Gerechtigkeit kommt von Gott, er allein ist ihre Quelle; wären wir imstande, sie gleich von oben zu empfangen, so hätten wir weder Regierung noch Gesetze nötig.«

Die Universalität des Menschlichen kommt offensichtlich nicht ohne die göttliche Autorität des Guten und Gerechten aus.

auch für gesellschaftliche Konstellationen, die von Hegel gesondert in der Rechtsphilosophie behandelt werden und von Adorno demgegenüber in eins gesetzt werden mit den Vermittlungen der Erkenntnistheorie. Einer der Kerngedanken der Negativen Dialektik besteht darin, die Prozesse der Fixierung und Subsumtion der Hegelschen Dialektik zu lösen und so eine Theorie zu entwickeln, deren ausschließliches Augenmerk auf die Vermittlungen selbst gerichtet ist. Das führt dazu, dass Adornos Philosophie, die sich selbst als Denken der Kritik versteht, zumeist eine Kritik an bestehenden Strukturen der abstrakten Allgemeinheit übt, unter die der Mensch als Bürgerin gezwungen ist, sich unterzuordnen. Die Logik der Begrifflichen Fixierung und rationalistischen Quantifizierung, die als Erbe der Aufklärung den Geist der Moderne prägt, führt in ihrem sozialen Äquivalent in eine Situation, in dem sich das Verhältnis von Herr und Knecht, wie Hegel es darstellt, die Form von Herrschaft von Menschen über Menschen annimmt. So stellt Adorno dar, wie die Logik der Rationalität, wenn sie sich gesellschaftlich niederschlägt, in einen Zustand der Herrschaft mündet.

»Solchen Schein, in dem die restlos aufgeklärte Menschheit sich verliert, vermag das Denken nicht aufzulösen, das als Organ der Herrschaft zwischen Befehl und Gehorsam zu wählen hat.«

Das Problem der gesellschaftlichen Vermittlung, das sich in Bezug auf die Willensbildung im Republikanismus ergibt, scheint nun ähnlicher Gestalt zu sein, wie jenes, das sich in der Dialektik der Aufklärung, wie Adorno und Horkheimer sie darstellen, herausstellt. Hier wie dort besteht die Antwort auf die Frage nach adäquater Bezugnahme in einem Verweis auf eine übergeordnete Struktur, die als Garant für geordnete Vermittlung inszeniert wird. Das humanistische Weltbild der europäischen Aufklärung beinhaltet offensichtlich Aspekte, die sich sowohl in der Gesellschaftstheorie eines Rousseau, wie auch im Universalismus des Deutschen Idealismus, wie bei Hegel, niederschlagen. Hier findet offensichtlich eine gedankliche Verknüpfung statt, die zwischen dem sich von den Ketten des Absolutismus befreienden und als autonom verstehenden Subjekts und der Konstruktion einer abstrak- ten Allgemeinheit besteht. Autonome Subjektivität im Sinne des Humanismus der Aufklärung erhält damit einen bitteren


Der Gemeinwille als falsche Allgemeinheit

»Die bürgerliche Revolution, die mit der Geschichte der undurchschauten Mächte und der persönlichen Gewaltherrschaft durch die Verwirklichung der Vernunft-Utopie zu brechen schien, hat die Gewalt vielmehr nur in der Form des voraussetzungsvollen, seiner selbst unbewussten Verstands reproduziert.«

Obwohl Adornos Denken in großen Teilen die Theorie Hegels atmet, präsentiert sie sich zumeist als explizite Kritik am Hegelschen System. Schon die ersten Worte der Negativen Dialektik kündigen an, die Fehler der Philosophie Hegels verbessern zu wollen, um schließlich Dialektik konsequent und ernsthaft negativ dieses Mal als Konzept der Beschreibung der menschlichen Existenz in der Welt durchführen zu können. Schon die Dialektik Hegels, insbesondere die der Wissenschaft der Logik ist vornehmlich eine Theorie über die Vermittlung von Subjekt und Objekt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Erkenntnistheorien geht es Hegel vor allem um die Vermittlung selbst, anstatt um die Instanzen Subjekt und Objekt. So entwickelt sich sein System selbstständig und vernünftig auf den Bahnen des Denkens selbst. Die Bewegung führt von der absoluten Ununterschiedenheit der abstrakten Allgemeinheit über die verschiedenen Stufen der Konkretion hin zur Absoluten Ununterschiedenheit der Einheit alles Bestimmten, wo die Bewegung nach dem Durchlaufen sämtlicher Prozesse wieder in ihren Anfang umschlägt. Dies gilt offensichtlich


 

 Beigeschmack, der von der Aussicht auf Herrschaft und dem Misslingen von politischer Partizipation herrührt. Diejenigen, die die universelle Geltung der Menschenrechte fordern, stehen vor diesem Hintergrund außerdem in der Pflicht, zu erklären, wie sie mit den Widersprüchen der Universalität, wie oben dar- gestellt, umgehen möchten und worin die universelle Geltung überhaupt besteht, denn wie gezeigt wurde, ist die Konzeption einer egalitären Gesellschaftsform mit inhärenten Problemen konfrontiert, die in der Struktur der Universalität und einem bestimmten Bild vom Menschen begründet sind.

Vom transzendentalen Die intellektuelle Situation, die im Subjekt zur invisible hand Europa der Neuzeit als Aufklärung bezeichnet wird, enthält bestimmte Implikationen, die, wie schon angedeutet, auch für die gesellschafts- theoretischen Konzeptionen der Zeit relevant sind. So gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Subjektphilosophie der Kopernikanischen Wende19 Kants und den rational choice Modellen englischer Empiristinnen. In diesem Zusammenhang wird zudem die Dialektik vom Besonderen und seinen Teilen sichtbar, die wiederum in sozialphilosophischen Zusammenhängen die Aspekte der Herrschaft und des Gehorsams in den Vordergrund stellt.

Einer der hervorstechendsten Vertreter der Aufklärung ist Immanuel Kant. In seinen Schriften lässt sich in besonderer Weise das Gedankengut des aufgeklärten Rationalismus ablesen und nachvollziehen, welche Konsequenzen dies für die Konzepte der Sozialität hat. In Ablehnung herkömmlicher Autoritäten wie Kirche oder König, beziehungsweise Göttliche Vorsehung oder natürliche Autorität, ist Kants Anspruch Wissenschaft zu betreiben, deren einziger Prüfstein die Vernunft selbst ist. Aus diesem Grund bedeutet Kritik der reinen Vernunft nicht bloß Kritik durch die Reine Vernunft, sondern zugleich auch in ihr und gemäß ihrer Maßgaben. Es findet hier also eine Reduktion statt in Bezug auf die Möglichkeitsbedingungen für Erkenntnis überhaupt, die zur Folge hat, dass hier nur noch das vernunft- begabte Subjekt als Maßstab und Organ der objektiven Erkenntnis auftritt. Hierin besteht die Bewegung der Koperni- kanischen Wende, dass nämlich sich der Bereich der vom Subjekt unabhängigen Objektivität in die unerreichbaren Sphären der Existenz An Sich verschiebt, während alles potentiell Erkennbare zum einzigen Horizont subjektiver Erkenntnis- leistung wird. Das transzendentale Subjekt in diesem Verhältnis eröffnet das Feld alles prinzipiell Erkennbaren.


Die Idee der Vernunft wird zum Prinzip des Realen erhoben, denn die Objektivität des Dings An Sich entzieht sich prinzipiell der Erkennbarkeit und verliert damit seinen epistemischen Status, in dem sich das Verhältnis von Subjekt und Objekt entfaltet. Das alte erkenntnistheoretische Problem der Vermittlung von Subjekt und Objekt erfährt damit eine Wendung, in der das Subjekt zum Fluchtpunkt der Erkenntnis wird und sämtliche Kriterien der objektiven Erkenntnis sich aus den Kategorien der Subjektivität ableiten. Das Resultat hieraus ist ein erkenntnistheoretischer Idealismus, in dem beispielsweise Kant Freiheit als Vernunft identifiziert und demzufolge menschliche Existenz im vollgültigen Sinne zum Zustand absoluter Rationalität wird. Die Utopie menschlichen Lebens, auch in Gemeinschaft besteht demnach in einem Zustand, in dem jede Entscheidung unter die Regularität von Vernunft gestellt ist. Es ergibt sich der scheinbar paradoxe Zustand, in dem Freiheit und Gehorsam ineinander fallen.

In Bezug auf aufklärerische Modelle des Sozialen wird die Existenz innerhalb von Gemeinschaften also als unter ein allgemeines Prinzip subsumiert verstanden, das im Falle des Rationalismus als idealistische Vernunft auftritt. Die Modelle der englischen Empiristinnen, die als Begründerinnen des Liberalismus gelten, verstehen Mensch-sein als Existenzform der rationalen Agentenschaft, oder rational agency, die sich ausprägt vor dem impliziten Hintergrund einer invisible Hand, die als metaphysische Macht die Geschicke der Menschen lenkt. Die Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem vollzieht sich demzufolge auch hier als Herrschaft und die ursprünglich angestrebte Autonomie der bürgerlichen Subjektivität stellt sich paradoxerweise als durch einen abstrakten Hintergrund der rationalen Subsumption legitimiert heraus. Stapelfeldt fasst zusammen:

»Die Vernunft wirkt mithin, über die Menschen hinweg, als ein bewußtloses Allgemeines, als invisible hand der Geschichte. So bleibt sie ein unerreichtes Utopia, so wirkt sie als Zwang, so ist aller Fortschritt zum ewigen Frieden ein unendlicher Fortschritt durch Pazifizierung eines unabschaffbaren Krieges.«

 

Es zeigt sich also, dass die oben geleistete Darstellung einer Logik, in der die Stiftung selbstbewusster Identität im Zusammenhang aufgeklärter Gesellschaften, wie beispielsweise im Republikanismus, steht, die Forderung nach Freiheit und Gleichheit nur unter zweifelhaften Bedingungen einlösen kann, denn die Herrschaft der Vernunft, die konzeptionell in der Aufklärung entwickelt wird, führt in einen Zustand, in dem sich die aufgeklärten Subjekte, die sich als Bürgerinnen der Republik verstehen, freiwillig unter das Joch einer abstrakten Allgemeinheit stellen. Diese hat allerdings die Eigenschaft, normativ auf die Lebensgestaltung der Individuen einzuwirken, indem sie auf erkenntnistheoretischer Ebene die Modi des Gegenstandsbezugs bestimmt und auf der Ebene der politischen Theorie den Leitfaden für die politische Tugend einer bürgerlichen Existenz vorgibt. Die fatale Folge davon ist, dass durch diese Konstruktion der abstrakten Allgemeinheit universelle Muster der Zuschreibung entwickelt werden, nach denen entschieden werden kann, wer zur Sphäre der Gemeinschaft dazu gehört und wer nicht. Sowohl der philosophische Rationalismus, als auch die bürgerliche Republik operieren mit einem Verständnis von Universalität, das durch die Qualifizierung als rational und tugendhaft restriktive Kriterien des Ausschlusses oder der Integration erzeugt. Die notwendigen Konsequenzen aus dieser Denkweise sind Exklusivität und Hierarchie. Im Zusammenhang mit einer kapitalistischen Wertschöpfung, in der Gemeinschaften zur Expansion gezwungen sind, ergibt sich eine Situation, wie sie sich an der Europäischen Gemeinschaft heutzutage ablesen lässt. Die Gemeinschaft der Humanistinnenen und Aufkläre- rinnen hält ein soziales System aufrecht, das zum einen die Bedingungen für die Partizipation so hoch hängt, dass kaum einer von außen die Möglichkeit bekommt, zum Teil der Gemeinschaft zu werden und zum anderen auf die Masse der Unterprivilegierten an seinen Rändern angewiesen ist, denn diese sind es, wie in der klassischen Konzeption der Republik, die die Ressourcen für den demokratischen Betrieb im Inneren zur Verfügung stellen.

Ein progressiver Gesellschaftsentwurf müsste darin bestehen, die Konzeption der Negativen Dialektik ernst zu nehmen und gesellschaftliche Formationen als das zu denken, was sie sind und wie Adorno sie korrekt bezeichnet, nämlich als Konstellationen, anstatt sozialer Heterogenität mit abstrakter Allgemeinheit zu begegnen, hinter der immer schon der Kampf um Leben und Tod von Herr und Knecht lauert.

Das Problem egalitärer Gesellschaften ist, dass sie Grenzen ziehen müssen zwischen denen, die dazugehören und denen, die sich aus welchen Gründen auch immer, als Gefahr für die Gemeinschaft heraus stellen. Denn schon die Idee einer qualifizierten Gesellschaftsordnung impliziert ihr Anderes, das sich je nach Struktur der sozialen Vermittlung unterschiedlich schnell abzeichnet und infolgedessen angestoßen wird. Im Versuch eine offene Gesellschaft anzustreben, kann es nicht darum gehen, das Andere auszuhalten oder integrieren zu wollen, sondern viel mehr einzusehen, dass die vorgestellte Allgemeinheit selbst eine Fiktion ist. Im Versuch mit einander auszukommen und politische Entscheidungen zu treffen, sollte es den Beteiligten konsequenterweise darum gehen, das eigene Umfeld und diejenigen, die von der gemeinsamen Entscheidung betroffen sind, in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Solange die Verantwortung für politisches Handeln auf die Sphäre der Allgemeinheit verlagert wird, droht immer wieder das Problem der Herrschaft in den Raum der politischen Praxis einzubrechen. Die hier vorgeschlagene Strategie unterscheidet sich von den kritisierten universalistischen Entwürfen durch ihre Offenheit. Die Grenzen des konstellativen Raumes verschwimmen und sind abhängig vom Kontext; die Grenzen der Menschheit, des Bürgertums oder auch des Proletariats sind fest und undurchlässig. Denn die Allgemeinheit aller Menschen verweist, analog zur universellen Geltung des bürgerlichen Rechts, auf die Existenz der abstrakten Allgemeinheit, die sich oben als Irrweg herausstellte. Die Alternative kann nur darin bestehen, das Feld des Sozialen selbst in den Blick zu nehmen und nicht eine abstrakte Form von Regularität als Modus der sozialen Vermittlung zu wählen. Eine flexible und herrschaftsfreie Gesellschaft lässt sich nicht in universalistischen Kategorien denken, denn diese stehen der spontanen und individuellen Entfaltung der Menschen entgegen. Eine freie Entfaltung und gerechte Kooperation lässt sich immer nur partikular denken.


 
 
 

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